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anno dm m cccc xc vi gardrut ik hete

(Im Jahre des Herren 1496 Gertrud heiße ich)

So lautet die Umschrift an der Glinstedter Betglocke. Allerdings sind die ungleichmäßigen und unförmigen gotischen Lettern vom geübten Auge nicht ohne weiteres zu lesen. Es bedurfte der Fachkenntnis des Kulturpflegers Bachmann (Bremervörde), um Buchstaben und Zahlen richtig zu deuten. Wir lesen einfacher: "Anno domini M CCCC XC VI (1496) Gertrud heiße ich."

Amerika wer soeben entdeckt, als die Glocke gegossen wurde. Dr. Martin Luther war 13 Jahre alt, und die Geburtsstunde der evangelischen Kirche hatte noch nicht geschlagen.

Mit ihren reichlich 500 Jahren ist die Glocke wohl die weitaus älteste im ganzen Kreis und zugleich das älteste Dokument des Dorfes Glinstedt. Wenn sie erzählen könnte! Vielleicht vom 30jährigen Krieg! Wo mag sie gegossen sein und für welche Kirche oder welches Kloster? Denn es ist kaum anzunehmen, daß sie ursprünglich für Glinstedt bestimmt war. Nach mündlicher Überlieferung soll sie ein Geschenk des ehemaligen Ahrensschen Vollhofes sein.


Aus den Aufzeichnungen des ehemaligen
Glinstedter Dorfschullehrer Johann Meinken

"Es geht in unserer Heimat eine alte, fast vergessene Geschichte um - vielleicht ist es nur eine Sage, die es aber wert ist, einmal erzählt zu werden: Es war damals in dem schrecklichen Krieg, den wir den 30jährigen nennen, der vor mehr als 300 Jahren unser Vaterland und unsere Heimat heimsuchte. 30 Jahre tobte er hin und her, von der Nordsee bis an die Alpen, zwischen Rhein und Oder. Und jedesmal, wenn die Söldnerheere durch die Dörfer zogen, wurden sie zu einer Landplage für unsere Bauern.

Es entstand damals das Wort: Der Krieg muß den Krieg ernähren. Das bedeutete: Wenn die Söldlinge in die Dörfer kamen, nahmen sie den Bauern das Vieh und Korn, erpreßten unter grausamster Marter das versteckte Geld, drangsalierten Männer, Frauen und Kinder und steckten schließlich die Höfe in Brand. Und wenn die Bauern aus ihrem Versteck hervorkamen, um das Feuer zu löschen, wurden sie niedergeschossen wie tolle Hunde. So erzählt uns der Chronist aus dem Dorfe Quelkhorn in unserem Nachbarkreise.
Dabei war es gleich, ob es Feind oder Freund war, ob Däne oder Schwede, Franzose oder Spanier, Norddeutscher oder Süddeutscher, Es wird erzählt von Dörfern, die achtmal ausgeplündert wurden. Was nützte es da, wenn sich die Bauern zur Wehr setzten mit Heugabeln und Sensen: Sie waren machtlos gegenüber dem Schießeisen und der Übermacht der Soldaten.
Da war es kein Wunder, daß sich unsere Bauern zusammenfanden, um zu beraten, wie sie der gemeinsamen Not gegensteuern könnten. Eines stand fest: Retten konnten sie nur etwas durch die Flucht in den dichten Wald oder die unwegsame Wildnis. Aber dann mußten sie rechtzeitig vom Nahen der Feinde unterrichtet sein.
So kamen sie überein, Alarmzeichen zu geben, wenn die Mordbrenner nahten, so daß sich jeder in Sicherheit bringen konnte.

In manchen Gegenden leuchteten Flammenzeichen von Berg zu Berg. Die Bauern in unserer Heimat stellten große Holzgerüste auf, hingen oben eine Glocke hinein und zogen bei drohender Gefahr am langen Strang.
Als dann im Jahre 1638 der kaiserliche General Gallas mit 6.000 Männern durch das Bistum Verden, zu dem auch unsere Heimat gehörte, zog, um durch den Gnarrenburger Moorpaß in das Gebiet des Erzbischofs von Bremen einzubrechen, ertönten erstmalig diese Alarmglocken.
Die Kaiserlichen hausten in dem Dorfe Quelkhorn fürchterlich, brannten es bis auf das letzte Haus nieder.
Die Zunge sträubt sich, die Greueltaten wiederzugeben, die sie dort verübten. Da erklangen die Sturmglocken der Tarmstedter Geest von Dorf zu Dorf, erreichten über Hepstedt, Breddorf und Hanstedt das Dorf Glinstedt, deren Glocke den Alarm weitergab über Karlshöfen und das Moor bis zu den Gnarrenburger Höhen.

Als unsere Bauern den Klang vernahmen, fielen sie auf die Knie, richteten ein Stoßgebet zum Himmel, rafften ihr Hab und Gut zusammen und trieben mit ihren Angehörigen das Vieh hinein in das schützende Moor, das nur ihnen, den Einheimischen, zugänglich war und noch heute den Namen Teufelsmoor führt. Und wenn die kaiserlichen auch die Häuser niederbrannten, unsere Bauern waren dankbar, sich selbst, ihre Angehörigen und das Vieh gerettet zu haben.
Als nach 30 langen Jahren dieser Krieg schließlich ein Ende fand, haben unsere Bauern die Glockentürme aus Dankbarkeit stehen lassen und jeden Tag die Glocke gezogen. Und wenn der Klang durch das Dorf tönte, hielt jeder inne von seiner Arbeit. Der pflügende Bauer auf dem Felde hielt die Pferde an, zog die Mütze und sprach ein Vaterunser. So wurde die Sturm- und Alarmglocke eine Betglocke."


Auch die jüngere Geschichte, bleibt interessant.

"Die Glocke hing einst im sogenannten "Glockenhof" bei der Schule. Der Ausdruck "Glockenhof" ist der jetzt lebenden Generation nicht mehr geläufig, kommt aber in Handschriften der Familie Prigge (Reesen) aus dem Jahre 1844 und 1845 (Kaufverträge) vor.
Als 1924 das zweite Schulhaus errichtet und ein Schulplatz eingerichtet wurde, stand der Glockenstuhl im Wege, und die Glocke fand einen anderen Platz oben auf dem neuen Schulgebäude.
Von hier aus wurde sie 1942 "eingezogen" und nach Stade gebracht, nachdem sie schon im ersten Weltkrieg in Hannover "in Reserve" gestanden hatte.

Vergeblich versuchte der Kreiskulturpfleger Bachmann die wegen ihres Alters wertvolle GIocke zu retten. Sie kam auf den Hamburger Glockenfriedhof, um das Schicksal Ihrer vielen Schwestern zu teilen, die bereits wegen ihres Zinngehaltes eingeschmolzen waren. Und doch war das ihr Glück! So wurde nur das leere Glöckengehäuse oben auf dem Schulhause das Opfer eines Volltreffers beim Artilleriebeschuß Anfang Mai 1945.
Von den 100.000 abgelieferten Glocken kehrten nach dem Kriege 12.000 zurück, darunter war auch die Glinstedter. Im Frühjahr 1949 traf sie wieder in der Heimat ein und wurde im Schläucheturm vorläufig behelfsmäßig aufgehängt. Von dort läutete sie ausschließlich bei Todesfällen als letztes Geleit.
Noch im Jahre 1952 wurde ein neuer Glockenstuhl erbaut in welchem die Glocke ihre nachweisbar vierte Wohnung in Glinstedt bezog."
(nach J. Meinken)

Am 3. Mai 1953 erfolgte die Einweihung des Glockenturms.


Eine Tradition bis in die Gegenwart

Seit 1951 hatte sich Marie Schomacker bei jedem Wetter um das Läuten der Glocke gekümmert.

Pünktlich um 7:45 Uhr und um 12:00 Uhr läutete sie von Montag bis Sonnabend die Glocke. Auch beim Heimgang eines Dorfbewohners verkündete die Glocke das traurige Ereignis.

So ist die Glocke von Glinstedt mit ihrer Betreuerin wieder zu einem festen Bestandteil des Glinstedter Lebens geworden.

Im Dezember 2001 ging Marie Schomacker in den wohlverdienten Ruhestand und übergab ihre Aufgabe nach über 50 Jahren an Margarete Geils, der es fortan zu verdanken ist, dass ein wichtiger Teil Glinstedter Geschichte am Leben gehalten wird.

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